Donnerstag, 27. Juli 2017

Tag 41: Bei Sprengungen ist das Timing das A und O

Als ich morgens mal auf Toilette mußte, regnete es.
Als der Wecker klingelte, regnete es.
Als ich mit dem Frühstück fertig war, regnete es.
Als ich ein paar Blogeinträge hochgeladen hatte, regnete es.
Als ich gezahlt hatte, regnete es.
Als ich die Lokal- und Boulevard-Blätter überflogen hatte, regnete es.

Es regnete mal etwas mehr mal etwas weniger und in einer Phase von letzterem ging ich dann um 10:30 Uhr doch mal los. Anfangs nur mit Regenhose, nachdem nach 350 Metern aber mal wieder eine Phase von ersterem anstand, dann doch auch mit Anorak.

In Richtung Nordwesten verlasse ich Heiligenblut und biege bald auf eine Forststraße rechts ab und die geht nach kurzer Einleitung gleich RICHTIG steil den Berg hoch.
Uff, da komme ich bei leichtem Nieselregen mit dem langärmeligen Hemd unter dem Anorak gleich gehörig ins Schwitzen. Über Serpentinen führt die Straße in Richtung des Gößnitztals, aber gerade als die Steigung erträglicher und die Serpentinen weniger werden zweigt mein Weg mit kaum noch Steigung am First rechts ab in Richtung Trogalm.

Eigentlich prima.

Aber statt des zu erwartenden Pfades des 702B-Weges (ja, wir haben schon wieder die Gebirgsgruppe gewechselt und die Glocknergruppe steuert die führende 7 bei), geht eine Forststraße rechter Hand weg.

Eigentlich nicht schlecht.

Aber Schilder weisen auf Forstwirtschaftliches Sperrgebiet, Betreten verboten bis 9. August, Sprengarbeiten, Lebensgefahr und ähnliche Nettigkeiten hin.
Toll: Mehrere Kilometer und hunderte Höhenmeter im Regen umsonst aufgestiegen ?
Warum schreiben die nicht im Tal gleich ein Schild, daß Weg gesperrt ist und man anderen Weg benutzen soll ?

SO leicht gebe ich mich aber nicht geschlagen. Wie sagte einst Uli Hoeneß: "Das ist es noch nicht gewesen."
Während ich also den neuen Fahrweg entlang laufe, sondiere ich meine verschiedenen Verhaltens- und Verhandlungsstrategien und wenn ein Pferd in der Nähe gewesen wäre, hätte ich für die ultima ratio evtl. sogar (Tierfreunde und Vegetarier jetzt bitte beim nächsten Absatz weiterlesen) mein Taschenmesser bemüht und den führenden kürzeren Teil des Tieres noch oben auf meinen Rucksack gepackt (Mafia-Methoden und so ;-).

Zwischenzeitlich entdecke ich meinen Pfad unterhalb der Straße. Evtl. wird die Straße zu einem anderen, höher gelegenen Ziel geführt ?
Ich steige abenteuerlich den Steilhang hinab und folge dem Pfad.
Nach 50 Metern ist aber bereits Schluß mit lustig: Der Weg ist völlig verschüttet von den Straßenbauarbeiten oberhalb. Mir bleibt also nur, der Straße weiter zu folgen. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, denn dazu muß man erstmal wieder hoch kommen, was sich hier als noch schwieriger gestaltet als vorhin der Abstieg. Ich klettere auf abenteuerliche Weise an Resten von Bäumen nach oben.

Puh.

Also erstmal weiter gehen. Die Baggergeräusche sind nicht mehr zu vernehmen. Es ist kurz nach 12:00 Uhr. Nach einer Biegung sehe ich einen kleinen Bagger. Unbemannt. OK, noch sollte ich sicher sein, denn Ruhe kann ja auch bevorstehende Sprengung bedeuten, allerdings werden die Bauarbeiter dabei nicht ihre eigenen Maschinen beschädigen, sonst reißt ihnen der Chef den Kopf (ganz ohne Pferd) ab.

Ich kann dahinter eine Spitzkehre erkennen und oberhalb steht ein Muldenkipper und ein großer Kettenbagger. Alles im Stillstand und unbesetzt. Ah, wahrscheinlich Mittagspause, aber wo sind die Arbeiter im Regen ?

Ich gehe vorsichtig und umsichtig weiter und entdecke in den abfallenden Ausläufern der Spitzkehre einen Pickup. Darin sitzen die beiden Bauarbeiter, die hier schon seit Wochen und voraussichtlich bis Ende September Straße vorrangig für den Forst und ein wenig für die Alm bauen. Ganz offensiv steuere ich das Fahrzeug an und der Capo läßt auch gleich das Seitenfenster runter.
Mmh, die Brotzeit der beiden hätte ich auch genommen ;-)
Aber ich habe ja gerade ganz andere Verhandlungsziele und befinde mich auf ziemlich vermintem Gelände: Schließlich habe ich ja bewußt sämtliche Verbotsschilder ignoriert.

Die beiden sind aber super nett und meinen kein Problem, ich müsse einfach über Erdwälle klettern und zwischen Kipper und Kettenbagger die gegenläufige Rampe hoch und würde wieder auf meinen Steig kommen.

Super. So einfach. Kommunikation und Kooperation ist eben alles (naja, außer bei Gerald auf dem Rennfeld - hätte ich den Pferdekopf hier prophylaktisch im Rucksack gehabt, ich hätte ihn - hier ungenutzt - wohl nach Bruck an der Mur ohne h geschickt).

Mal wieder habe ich mehr Glück als Verstand:
Ich komme wegen meines Regen-bedingten extrem späten Starts genau in der Mittagspause an zwei total nette Arbeiter, die am 26. Juli 2017 die Straße auf den Meter - inkl. aufwändiger Spitzkehre - so weit gebaut haben, daß sie die Rampe für die Rückkehr auf den Steig bereits angelegt haben.
Das Glück ist ein Rindvieh und sucht seines gleichen :-)

Der Steig geht nun angenehm leicht bergan bis ich vor dem nächsten Problem stehe: Eigentlich nur ein Viehgatter (ja, ja, ich sagte ja eben noch, ich sei wohl ein selbiges), nur hier haben sie es ernst gemeint: Neben den umseitigen Verbotsschildern hält hier eine Kette mit Schloß das Tor zu und links und rechts dreireihiger Stacheldraht.



Diesmal sitzen mir zwar keine Stiere im Nacken (wie im Burgenland), aber trotzdem sehe ich zu, daß ich möglichst rasch samt Rucksack auf dem Buckel über das glitschige Holz des Tores irgendwie oben drüber klettere.

Ein paar Minuten später kommt mir ein Wandererpärchen entgegen. Auf meine Frage, welchen Weg sie gehen wollen, antwortet sie: DIESEN.
Sie versteht wohl meine Argumente, daß dies wohl keine so gute Idee sei und nach ein paar fremdsprachigen Diskussionen mit der männlichen Begleitung machen sie dann kehrt und gehen doch den anderen Weg ins Tal.

Ich folge an der Abzweigung an der Trogalm dem Weg stattdessen in das Leitertal hinein. Oberhalb des rauschenden Bachlaufes geht es nun gen Westen stetig bergan.

Nach einer Weile treffe ich drei Nationalpark-Arbeiter: Der erste mäht das Gras. Der zweite kratzt die Regenrinnen frei. Der dritte ist der jüngste und recht das Gras und spielt mit seinem Hund.
Sie haben die letzte Terminarbeit der Saison zu erledigen: Am Samstag ist eine Wallfahrt von Heiligenblut aus über die Glorer Hütte und da muß der Weg in bestem Zustand sein, weswegen sie heute hier auch beim Dauerniesel fleißig sind.

Als Fürstbischof Salm im Jahre 1800 mit seinem Tross zur Erstbesteigung des Großglockners unterwegs war, nahmen sie übrigens auch diese Route durch das Leitertal. Den Weg gab es noch nicht und das Gras wurde vor dem Tross mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht gemäht und doch erreichten sie am 28. Juli dann den Gipfel.
Nun, das Wetter soll die nächsten Tage zwar besser werden, aber ich werde zum Jahrestag wohl trotzdem nicht am Gipfel des Glockners stehen, auch wenn der Zeitplan es zumindest hergeben würde.

Aber was hatte mir eine Familie erzählt, die von einer Hütte aus 2.400 Metern gerade im Abstieg nach Heiligenblut war: Die Tage hatte ein Blitz am Großglockner einen Bergführer erwischt, Haare verbrannt, schwer verletzt, aber er hat überlebt und konnte mit Hubschrauber ausgeflogen werden. Auch staatlich geprüfte Bergführer stehen eben irgendwann vor dem Herrn und die Berge und Naturgewalten sind immer größer als Du kleiner Mensch.

Zwischen Leiteralm und Berger Ochsnerhütte verengt sich das Tal etwas und ein kalter Wind fährt bei ca. 2.100 Metern durch das Tal, daß mir die nassen Finger fast abfallen.

Nach der Hütte weitet sich das Tal aber bzw. teilt sich in zwei Seitentäler und auch der Weg teilt sich: Rechts geht es hoch zur Salmhütte und auf der linken Seite des rechten Tals führt der Weg zur Glorer Hütte, die ich mir als Tagesziel ausgesucht hatte, um direkt auf dem Sattel zu übernachten und am nächsten Tag nicht noch 200 Höhenmeter weiter (in den Schnee) aufsteigen zu müssen.

Auf einer Höhe von 2.400 Metern geht der Regen in Schnee über. Das ist auch noch nicht das eigentliche Problem, denn er bleibt nicht liegen, sondern die Paarung mit starkem, direkt entgegen kommendem Wind: Ich kann teilweise kaum die Augen öffnen, da es mir die Schneekristalle in die tränenden Augen bläst.

Irgendwie komme ich aber trotzdem auf 2.642 Metern im heftigen Schneesturm an der Hütte an. Mir wird sogar die Tür vor der Nase geöffnet und ich herein gebeten.
Wenige Minuten vor mir ist ein älteres Ehepaar (Brigitte und Albrecht) aus der Hanauer Gegend von der Südwestseite (also immerhin mit dem Wind) zur Hütte hoch gekommen, wo das Thermometer an der Tür noch +1° anzeigt.

Der Trockenraum der Hütte ist super ausgestattet und wird gleichzeitig mit dem Gastraum per Holzofen eingeheizt. Und wie !
Als ich vier Stunden nach meiner Ankunft ins Bett gehe, sind meine Sachen bereits trocken und im Gastraum ist es wahrscheinlich genauso heiß wie gestern in der Kräutersauna - auch hier darf man allerdings keinen Aufguss machen ...

Es stürmt mit Schneetreiben noch eine ganze Weile, aber der Schnee bleibt nicht wirklich flächendeckend liegen.


Begegnungen:
Familie im Abstieg von Hütte
2 nette Straßenbauer
3 Nationalpark-Arbeiter
9 Murmeltiere
Brigitte und Albrecht aus der Hanauer Gegend
4 Münchner


2.000er:
Berger Törl, 2.642

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