Nachdem es am Vortag ja mit der Übernachtung in Hochwolkersdorf, quasi dem Geburtsort der 2. Österreichischen Republik (hier hatten die Sowjets ihre Kommandozentrale für den Vorstoß auf Wien und verhandelten mit österreichischen Militärs und Widerstandskämpfern über die Übergabe der Stadt und die Folgen), nichts wurde, hatte ich ja mit der Übernachtung im Tal, in Schwarzenbach, etliches an Höhe verloren, die es heute erst wieder zu erklimmen galt.
Den Nachbau des großen Keltenturms hatte ich nur aus der Ferne auf dem Hügel zu sehen bekommen und das 20. jährliche Keltenfestival würde erst am Wochenende beginnen, dann kommen bis zu 10.000 Gäste in die 300-Seelen-Gemeinde mit ihren 4 Gasthäusern.
Zwei der vier Lokalitäten hatte ich mit Unterkunft und Abendessen (Unterkunft hatte nämlich Ruhetag) gesehen und irgendwie wirkte das alles ein wenig marode und teilweise renovierungsbedüftig, aber riesige Saalbauten haben die hier überall, das war mir schon die Tage aufgefallen - von wegen Platz ist in der kleinsten Hütte.
Ich hatte quasi direkt zwischen den Routen 02a und 02 übernachtet und machte mich nun auf einem selbst heraus gesuchten Weg gen Westen den Berg hoch, um dort in Wiesmath wieder auf den 02a zu stoßen. Die Wege in den 24 Stunden abseits des 02a sollten die schönsten der letzten Tage gewesen sein.
Von Wiesmath ging es nämlich Straßen entlang bis nach Hollenthon, wo ich Mittag machte und einem Bauarbeiter bei der einsamen Arbeit vor dem Einkaufsmarkt in der Mittagspause zu sehen konnte.
Nach dem Ort sollte es dann ins Grüne gehen. Wobei so viel Grün - und vor allen Dingen brennend und hakend - hätte ich gar nicht gebraucht. Nennen wird das Stück steil bergab in Richtung Fahrnermühle mal einfach Grüne Hölle 1. Eine besondere Herausforderung war dabei eine Limbo-Einlage bei der ich unter einem diagonal quer liegenden Baumstamm auf dem Rücken zu liegen kam und mich wie eine umgedrehte Schildkröte fühlte: Wie um alles in der Welt wieder hochkommen, wenn die Stöcke weit weg und ein Abstützen in den Brennnesseln auch kein gute Option erscheint ?
In einer wahren Kraftanstrengung komme ich samt Rucksack irgendwie wieder hoch, um kurz danach an einem Weidezaun zu stehen. Bisher war zumindest die Markierung gut, aber wie nun weiter ?
Der Elektrozaun hatte an der Stelle Vorrichtung zum Öffnen. In der Theorie. Tiere waren keine zu sehen. Ich schaffte es zwar nicht, den Zaun zu öffnen - das ganze wackelig dynamische System gab an allen Ecken und Enden nach - aber letztlich stand ich auf der anderen Seite. Nun erneut die Frage, wie weiter ?
Laut GPS gen Westen, aber dort sah ich keine Markierung und kein Gatter, um wieder aus der Weide heraus zu kommen, also ging ich nach Süden, wo ein Viehweg hinab zu den Häusern zu führen schien. Auf dem schmalen Weg relativ frische Hinterlassenschaften. Oh, na hoffentlich kommt mir jetzt keine Kuhherde entgegen, den Platz zum Ausweichen gäbe es keinen.
Ich endete im Vorhof des Viehstalls. Eingezäunt. Kein Tor ließ sich öffnen und gerade als ich anfangen wollte, irgendwie den Versuch zu starten, den 2m-Zaun zu übersteigen, war die Ruhe zu Ende.
Stiere brachen aus dem Stall hervor. Gott sei Dank waren die vor mir noch mehr in Panik als ich umgekehrt, aber glaub es mir, ich war trotzdem SEHR schnell über dem Zaun.
Puh, das war knapp und ich glaube das Gröbste überstanden. An einem Stadel ein paar Meter weiter, war wieder eines dieser stark ausgeblichenen, für Blinde wahrscheinlich per Tasten fast besser lesbaren Metalltafeln des Zentralalpenwegs 02a. Ich folgte also grob dem Pfeil auf einem Schottersträßchen, allerdings realisierte ich einige Höhenmeter oberhalb, daß dies wohl nur eine Zufahrt zu einem Privatgrundstück ist. Der eigentliche Weg sollte zwar nur einige Meter von mir entfernt sein, aber einfach durchs Gebüsch wollte ich auch nicht, vor allen Dingen weil es mich wurmte, wie ich den Weg an der Straße verpaßt haben konnte. Also zurück. Von einem Weg aber zurück bis zur Straße nix zu sehen. Also auf die harte Tour: Per GPS Meter für Meter angenähert und plötzlich erkannte ich einen schmalen Pfad durch das Brennnessel-Grün, der über eine Fußgängerbrücke auf Wiese führte und von dort steil bergauf durch die Grüne Hölle 2. An der Stelle, wo ich umgekehrt war, kam ich dann - noch geraumer verlorener Zeit - wieder vorbei. Wäre ich doch mal durchs Gebüsch gebrochen ...
Der Weg ist wohl mal ein Forstweg gewesen. Früher. Vor Jahrzehnten.
Ich schlängle mich immer wieder um Brennnesseln und Dornen und freue mich schon, als er auf eine intakte Forststraße mündet, allerdings zu früh gefreut, bei nächster Gelegenheit geht es scharf rechts weg, auf einen Weg der bekannten Kategorie.
Immerhin ein paar nette Kröten, unterschiedlichsten Kalibers - von ganz klein bis riesig, fett und größer als mein Handteller treffe ich an.
Als ich völlig verschwitzt zu einer weiteren Pause im Schatten eines Kapellchens vor Obereck auf 708 Metern sitze, muß ich wenigstens nicht mehr ganz so viele Bremsen in der Größe von halben Hornissen abwehren, wie zuvor noch im Wald.
So lange Du in Bewegung bleibst, kein Problem.
Wenn der Schweiß mal getrocknet ist, kein Problem.
In der prallen Sonne und/oder starkem Wind, auch kein Problem.
Aber, aber, alles andere ...
Immerhin erkenne ich bei der Gelegenheit auch, für was man die Heftchen der ÖAV für die Weitwanderwege noch SEHR gut zweckentfremden kann ;-)
Nun geht es in die Straße hinab ins Tal nach Thal und obwohl ich heute wieder 3 Liter Wasser mitgenommen habe, ist nicht mehr all zu viel nach den 2,5 Hügel der Buckligen Welt für heute übrig. Aus Thal geht es durch einen Hof hindurch in Richtung des letzten 700er Hügels für heute, den es zu Überschreiten gilt.
Allerdings ist vom Weideweg laut Karte gar nichts zu sehen, ich gehe quer über eine Wiese bergauf, denn immerhin ist am Strommast eine Markierung zu sehen. So weit, so gut.
Dann ist nichts mehr zu sehen. Außer einem Baum-Busch-Dickicht-Bestand, der sich in Form eines Viertelkreises um mich erstreckt und ideenlos zurückläßt, wo und wie da ein Durchkommen sein könnte. Kein lichter Fleck, wo mal der Bauernfahrweg hätte gewesen sein können, keine Markierung ist zu sehen. Das sah nach sicherer Sackgasse aus.
Also erstmal auf gleicher Höhe die Wiese entlang gegangen, um das Ganze evtl. links zu umgehen, aber dort war Wiese/Feld nicht gemäht und ein Durchkommen noch viel unmöglicher.
Was nun ?
Die Grüne Hölle 3 hat mich letztlich kapitulieren lassen.
Ich gehe die mühsam gewonnen Höhenmeter über die Wiese zur Straße und bin nun kaum 50 Meter weiter im Vergleich zu der Stelle, wo ich vor ca. 30 Minuten abgebogen war.
Auf der Straßenbrücke am Bach sacke ich erstmal erschöpft, den Rucksack gegen das Geländer gelehnt zusammen. Jetzt ist guter Rat teuer und mein Wasser ist auch fast aufgebraucht.
Ein Blick ins Kartenmaterial offenbart: Entweder direkt die Straße nach Süden, wo ich in Gehring auf den 02er treffen würde, der dann noch einige Kilometer Straße bis nach Tiefenbach, meinem heutigen Ziel führen sollte, oder an einer Abzweigung im Wald abbiegen und beim Hof Judenbauer wieder auf 02a treffen. Aber auch alles Straße/Fahrweg.
Nach einem Traubenzucker und einem kleinen Schluck rationierten Wassers bin ich bereit, die letzten ca. 6 Kilometer in Angriff zu nehmen. Ich entscheide mich für die sichere Variante: Die Straße den Berg hoch nach Gehring. Kurz bevor es aus dem Wald wieder in die Sonne geht und der Anstieg bewältigt ist, sehe ich auf der anderen Seite ein Häuschen, was vermutlich irgendwas mit (Ab-)Wasserwirtschaft zu tun hat.
Nun, wenn ich mir JETZT etwas wünschen dürfte ...
Dann einen dieser Wasserhähne außen am Haus, die üblicherweise im Sommer unter Druck stehen.
The Trail provides. Dem Herrgott sei es gedankt.
WASSER !
Ich lasse erst ein wenig laufen, erfrische mich, trinke ausgiebig und fülle dann meine Flasche auf, die nur noch einen kümmerlichen Rest an Wasser enthalten hatte.
Durch Gehring geht es hinauf nach Straß.
Die Sonne steht schon recht tief und ein älterer Herr hält mit dem Auto an und fragt, ob er mich mitnehmen kann. Ich sehe wohl alles andere als gut aus. Wir kommen ins Gespräch, aber letztlich lehne ich ab. Die verbliebenen Kilometer werde ich schon noch irgendwie schaffen. Ich muß aber zugeben, daß ich es, wie Martina gerade auf Ihrem Weg gen Westen, evtl. beim diesjährigen Sommerausflug unter den gegebenen Umständen etwas pragmatischer handhaben werde, als man es sonst bei meinem "by fair means"-Ansatz gewohnt ist ..
An einem Lost Place auf der Höhe eine letzte Pause und Stärkung und dann geht es über die letzten paar Aufstiegsmeter in den langen Abstieg auf der Straße nach Tiefenbach, östlich von Krumbach in Niederösterreich.
Über Booking.com hatte ich bereits am Vortag beim Gasthof Buchegger reserviert und nach gut 10 Stunden und knapp 27 Kilometer komme ich reichlich kaputt am Ziel an.
Die Begrüßung durch den Chef ist herzlich und per Handschlag - er läßt sich nicht davon abbringen, obwohl ich ihn auf meine völlig durchschwitzten Handschuhe deutlich hinweise.
Ihr kennt das bestimmt auch: Manchmal kommt man wo an und fühlt sich sofort wohl, obschon man noch niemals zuvor dort war.
Der Gasthof Buchegger in Tiefenbach ist für mich einer dieser Orte.
Der 4-Seit-Hof, die urige Wirtschaft, die Leute - vom Essen ganz zu schweigen ...
Begegnungen:
1 kleine Kröte
1 dicke, fette Kröte
Der 70-jährige Herr, der mich mitnehmen will
Der Wirt im Gasthaus Buchegger
Ich habe immer geglaubt, dass dem Paten die Sucherei nach einem Weg erspart bliebe. Außer vielleicht bei Naturgewalten wie herumliegende Bäume oder hoher Schneelage.
AntwortenLöschenJetzt ist mit diesem Artikel die Mystifizierung etwas aufgeweicht und ich schäme mich nicht mehr ganz so, wenn ich in meinem Tagebuch vom letzten Jahr lese, dass ich beinahe täglich Zusatzkilometer für diverse Umwege in Kauf nehmen musste.
Wie auch immer: der Weg ist das Ziel! Sagt man.
Gut Weg weiterhin mit angenehmeren Umwegen.
Lg Volker
Das mit dem Quartier kann ich so gut nachvollziehen. Eigentlich merkt man es schon bei der Begrüßung - ich hatte solche Wohlfühlmomente in Grein beim Goldenen Kreuz.
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