Heute war der große Tag.
Die Königsetappe des Zentralalpenwegs stand an.
Mein Lager-Genosse, der die Tour sogar noch verlängert und von der Edelrautehütte direkt bis zur Planneralm (meinem morgigen Ziel) durchgeht, ist bereits längst weg.
Das Thermofrühstück ist schnell gefunden, aber außer dem Joghurt mit frischer Banane und dem reichlich schwarzen Tee mit Milch bekomme ich irgendwie nichts runter.
Die Wurstbrote nehme ich mir also für unterwegs mit.
Um 5:45 Uhr mache ich mich los und vor der Hütte kommt mir schon eine ganze Gruppe von Wanderern ENTGEGEN. Die Erklärung ist einfach: Die Seminargruppe auf der Hütte war heute zum Sonnenaufgang auf einen der kleinen Gipfel in der Nähe gestiegen (vermutlich das Hauseck) und nun bereits zurück gekehrt.
Ich war also alles andere als ein Frühaufsteher, da aber die Etappe gestern auch lang und hart war, hatte ich für mich selbst einen Kompromiss aus ausreichend Schlaf und frühem Start ausnivelliert.
Zuerst geht es von der Hütte auf den Großen Hengst und dann - immer am Grat entlang - weitere knapp 250 Höhenmeter hoch auf den Kleinen Bösenstein (der "Kleine" ist hier also größer als der "Große").
Den Südwestgrat, die sog. Perwutzleiten steige ich dann ob des Geländes vorsichtig hinab in Richtung Perwurzpolster-Sattel. Bereits in diesem Abstieg bin ich 3,5 Stunden unterwegs und es ist Zeit für die erste Pause.
Vom halben Brot schaffe ich nur die Hälfte. Die Anstrengung und die bereits aufkommende Wärme setzen mir etwas zu, was sich auf den Magen niederschlägt. Ansonsten sieht es körperlich und mental gut aus.
Ab dem Perwurzpolster beginnt nun die eigentliche Wanderung, immer am grünen Kamm entlang und über so gut wie jeden - ebenfalls grünen - Gipfel der am Weg liegt führt der 02er-Weg.
Das Wetter ist phantastisch, aber es ist auch um die 2.000 Meter ganz gut warm, auch wenn immer wieder ein frisches Lüftchen geht und auch mal Quellwolken etwas Schatten spenden.
Vor dem Kleinen Geierkogel pausiere ich kurz nach 13:00 Uhr das zweite mal. Hier führt eine alte Römerstraße über den Sattel auf ca. 1.870 Meter Seehöhe. Die Straße ist noch deutlich im Gelände zu erkennen. Wenn man überlegt, wie viele Jahrhunderte das jetzt her ist und welcher Aufwand damals (ohne Maschinen) für den Bau notwendig gewesen sein muß ... Sehr beeindruckend !
Der Versuch, einen Keksriegel runter zu bekommen, endet auch bei ca. 80%. Schwierig. Körperlich geht es weiter gut, aber ich mache mir etwas sorgen, einen Hungerast im weiteren Tagesverlauf zu bekommen.
Ich habe von meinen 3 Litern Wasser (von denen ich in den ersten Stunden gar nichts getrunken hatte) nur mehr 1 Liter übrig. Definitiv zu wenig für den Rest des (langen) Tages.
Ich nehme also die Skizze von Martin aus einem alten Forumsbeitrag zur Hand (Danke Dir !) und optimiere das ganze noch etwas: Ich steige direkt vom Sattel schräg, gen Süden 100 Hm in das Ilmkar ab, wo Kühe weiden und Wasserläufe existieren. Oberhalb der Kuhherden quere ich gen Südwesten und oberhalb der Weidezäune fülle ich meine Wasserflaschen wieder voll auf (verunreinigtes Wasser ist ja noch schlimmer als gar keines).
Nun bin ich bestens gerüstet für den Schweiß-treibenden Aufstieg zum Weg auf dem Süd-Grat des Hochschwungs. Da diese ganze Umgehungs-Strecke komplett weglos ist, ist das Ganze nicht ganz ohne, aber als ich den Gipfel des Hochschwungs auf 2.196 Metern letztlich erreiche, werde ich nur 15 Minuten länger gebraucht haben als über den "Normalweg" über den wohl nicht unschwierigen Nord-Ost-Grat.
Am Schattnerzinken und am Seitnerzinken geht es dann vorbei und vor dem letzten Anstieg des heutigen Tages - nur 100 Höhenmeter vom Sattel auf den Schrattnerkogel - stärke ich mich mit einem Traubenzucker (geht super runter) und vom Gipfel aus, kann ich dann schon die Schwabergeralm 600 Höhenmeter unterhalb im Tal sehen. Wie ich später erfahre, stehe ich ab dann auch schon unter Beobachtung: Der Bauer (zugleich Jäger) hat mich mit dem Fernglas erspäht und es laufen bereits wetten, wie lange ich noch brauchen werde.
Etwas länger als die (sehr optimistische) Schätzung des Bauern werde ich zwar brauchen, aber aus meiner Sicht läuft es gut: Zuerst geht es hinab zur Kleinen Windlucke auf 1.824 Meter.
Dort steht ein Holzschild, 90° links ab vom Weg ins Nichts zur Schwabergeralm weisend mit den Worten "Follow the river".
OK, aber Fluß ?
Gehen wir mal von Bach als Arbeitshypothese aus, schauen ins Tal und studieren das GPS.
Da unten gibt es eine Einkerbung. Das könnte ein Wasserlauf werden, wenn es mal groß ist, aber WIE dorthin kommen ?
Ein abenteuerlicher Abstieg, weglos in Falllinie beginnt. Das Gelände ist teilweise so steil, daß ich mit den Füßen ins Nichts abrutsche, aber durch den dichten Bewuchs findet man immer Halt und es geht ganz gut und vor allen Dingen flott voran.
Nachdem ich mich zur Rinne mit dem vermeintlichen und letztlich tatsächlichen Bachlauf durchgearbeitet habe, treffe ich wirklich auf Steigspuren am Bach entlang in Richtung Tal. Prima !
Dumm nur, daß im etwas flacheren Weidegelände der Bauchlauf sich plötzlich teilt, nach ausgiebigen Wasserabflußmengenmessungen bin ich genauso schlau wie zuvor: Der Bach teilt sich wirklich 50% zu 50%.
Natürlich entscheide ich für den falschen Arm (von oben gesehen: rechts), der direkt in Richtung Hütte geht. Nachdem ich keine weiteren Wegspuren finde, gehe ich nach einer Weile doch quer über die Wiese mit hohem Gras und darin massenhaft versteckten, von Kühen hinterhältig hinterlassenen Tellerminen.
Am "linken" Bachlauf finde ich im Übergang in den Wald wieder Steigspuren und nach einer Weile komme ich auf ein Almsträßchen. Nun noch ein paar Minuten und ich biege um's Eck zur Schwabergeralm, wo ich um 19:15 Uhr einlaufe.
Von den letzten 36 Stunden hatte ich mehr als 25 in den schweren Bergstiefeln verbracht und war gut 22 Stunden davon mehr als 4.000 Hm bergauf und fast genauso viel bergab gelaufen (heute alleine 12 Stunden Gehzeit, bei 2.060 Aufstiegs- und 2.240 Abstiegsmetern). Mit etwas Mühe bekomme ich die Schuhe von den Füßen, die schon etwas zwecks Druckstellen gelitten haben.
Aber das Ziel ist erreicht.
Ich habe es geschafft !
Die wohl härtesten Etappen des ganzen Zentralalpenwegs liegen nun hinter mir.
Und eigentlich geht es mir nach 1 Liter Apfelsaft mit Leitungswasser ganz gut:
Ich bin körperlich nicht am Ende.
Das Wetter war super.
Die Ausblicke und die Einsamkeit traumhaft.
Eine einfache Suppe und eine Bretterljause stärken gleich wieder.
Die Unterkunft ist für die Ansprüche eines Fernwanderers mehr als ausreichend und sorgt dafür, daß der Übergang Edelrautehütte - Planneralm an zwei Tagen bei stabilem Wetter auch mit dem großen Marschgepäck gut zu gehen ist.
Nachdem die Tochter des Hauses und die Aushilfe Rosi mit dem Buttermachen fertig sind, kann ich sogar noch heiß Duschen.
Danach sitze ich noch etwas mit der ganzen Runde in der Küche, bevor die Bauersfamilie ins Tal fährt und ich mich in das Lager im Stadel nebenan verziehe, um mal richtig auszuschlafen.
Das schaffe nur ich, meinte Udo vor dem Start.
Es war mir eine Ehre ! :-)
Begegnungen:
4 Gämsen
1 Gams
1 Gams
1 Murmeltier (akkustisch)
1 Birk- oder Schneehuhn (der Bauer ist sich nicht ganz sicher)
1 Kröte
1 Auerhahn
1 Ringelnatter (auf der Alm bei Rucksack/Schuhen - Schlangen haben wohl keinen Geruchssinn ;-)
2000er:
Großer Hengst, 2.156
Kleiner Bösenstein, 2.395
Zinkenkogel, 2.233
Hochschwung, 2.196
Schrattnerkogel, 2.104
Gratulation!!! Ein wichtiges Stück ist geschafft!
AntwortenLöschenJa, alle Ampeln stehen auf grün und Radwege in den Bergen liegen Fußgängern teilweise besser als manchen Schmalspurradlern.
LöschenAuch ich ziehe meinen Hut! Bravo
AntwortenLöschenSehr passend bei Deinem Profilbild ;-)
LöschenDu läufst wie du schreibst. Hervorragend, ein Genuss!
AntwortenLöschenDanke für die Blumen per Express :-)
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