Montag, 14. August 2017

Tag 59: Einsamer Weg mit dickem Hals

An der Franz-Senn-Hütte habe ich es heute Morgen nicht eilig. Zwar hat mir das System mit jede Kleinigkeit sofort Zahlen (statt gesammelte Abrechnung am Abend vor dem zu Bett gehen) und die feste Tisch-Zuordnung an Hand von (Bergsteiger-)Halbpension vs. nach Karte (ich wäre lieber abends mit meinen drei Wiener Zimmergenossen weiter zusammen gesessen - schon alleine, um mitzukriegen, ob sie wirklich wegen der Stubai-Probleme in den Kaiser fahren) nicht sonderlich zugesagt, allerdings habe ich heute zur Abwechslung eine recht kurze Etappe mit weniger als sechs Stunden Gehzeit laut Zentralalpenwegsführer (nun bin ich wieder auf dem 02a unterwegs) und das Wetter sollte auch eher besser als schlechter werden.

Die Wolken verziehen sich langsam und im weiteren Tagesverlauf kleben nur Schleierwolken am einen oder anderen Gipfelmassiv.

Ich starte also gemütlich in Richtung Starkenburger Haus (von dort kamen am Vortag die meisten Wanderer, nach ihrem Einstieg auf den Stubaier Höhenweg) auf dem Franz-Senn-Weg gen Nord-Osten.


Nach einer Weile zweigt dann mein Weg 132 (eigentlich auch 102, aber nicht ausgewiesen) als Pfad nach Norden bergauf in Serpentinen ab. Nach ersten Murmeltieren vor mir, kann ich hinter mir noch vier schnell zu mir Aufschließende erkennen. Vier Jungs (zwei Österreicher und zwei Englisch-sprachige) mit ganz leichten Schuhen und kleinen Rucksäcken fliegen förmlich an mir vorbei.
Gipfelstürmer ? - Nein, ich sehe sie später erst an der Scharte verweilen und dann als ich oben bin,  auf der anderen Seite entschwinden.
Die vier werden aber auch die einzigen auf dem Weg sein, die ich bis kurz vor Lüsens am Ende des Abstiegs im Norden treffe.

Der Weg ist also sehr einsam über das Große Horntaler Joch auf 2.812 Metern und gut zu gehen, auch wenn der erste Teil des Abstiegs auf der Nordseite sehr bröselig und erdig ist: Bei fast jedem Schritt bergab rutscht der Weg unter dem Schritt 15-30 Zentimeter mit. Aber es läßt sich gut gehen.


Meine Gedanken schweifen also ab und wie Fräulein A. (ist gerade da, wo der Pfeffer wächst: Madagaskar) bestätigen kann, ärgern mich Ineffizienz und/oder Ineffektivität in allen Lebenslagen maßlos und der Geduldsfaden ist dann sehr kurz: Die Sache mit der unwissenden Hüttenbesatzung - denen (fast: sie hätten einfach mal mit ihrer Nachbarhütte telefonieren können, um zu erfahren, daß es bereits seit mindestens VIER Tagen - also bereits vor der zweiten Unwetterwelle - gen Dresdner Hütte Probleme gibt, denn das haben mir die Wanderer bereits auf der Bremer erzählt, die mehr als zwei Tage vorher dort vorbei kamen) nichts vorzuwerfen ist, schließlich hatte einer der Angestellten sogar im Netz gesucht, aber nichts gefunden - wie ich eben auch, wobei es bei mir nur Interesse war und keine Relevanz hatte.

Die eigentliche Ursache des Problems ist aus meiner Sicht organisatorisch bis strategisch und reicht bis in die Zentralen der alpinen Vereine in München und Innsbruck:

Informationsfluß ist nur getragen durch Einzelinitiativen (wie der Wirt der Nürnberger Hütte, der morgens den Nachbarn auf der Bremer informiert hatte) und läuft teilweise wegen mangelndem technischen oder organisatorischen Verständnis ziemlich ins Leere (wie die Facebook-Postings der Stubaier Wegebauer unter dem Account Stubaier Höhenweg, denn diese sind per Google nicht findbar, zeitliche Einordnung wird zunehmend schwierig und die berühmte Filterblase tut ihr Übriges), strukturell gibt es keinerlei Ansätze.
Auf der Homepage der Sulzenau-Hütte ist vom aktuellen Schlammassel gar nichts zu lesen.
Auf der Marketingseite des Stubaier Höhenwegs findet sich auch keinerlei Information.

Wie ich aus OeAV-Kreisen bereits vor einer Woche gehört habe, sind bereits mehrere Anläufe gescheitert, ein digitales Hütten-, Wege- und Arbeitsgebietskataster der deutschsprachigen Alpenvereine anzulegen.
Nun, ein paar Praktikanten aus dem Geo-Informatik-Bereich mit GIS-Kenntnissen und Konsolidierung existierender digitaler Quellen (im von den Alpenvereinen auch genutzten und BEZAHLTEN Outdooractive sind ja bereits viele Infos vorhanden - wenn auch teilweise falsch), Querprüfung mit weiteren Quellen und Ergänzung um Informationen aus analogen Beständen könnten da sicherlich viel bewirken.

Es ist doch hanebüchen, daß vor 10 Jahren digitale Hüttenverzeichnisse der Alpenvereine in besserem Zustand (technisch als auch informativ gesehen) waren als heute: DAV hat kein eigenes Verzeichnis mehr und auch beim OeAV funktioniert die Hüttensuche nur noch bedingt (erst heute wieder gescheitert, Erlanger Hütte nach Pforzheimer zu finden - Google findet sie im OeAV-Katalog aber sofort und direkt), die Informationen sind mittlerweile über x Tabs verstreut, private alpine Hütten zwischendrin fehlen oft (früher waren relevante Unterkünfte wie Pfitscher-Joch-Haus meist zumindest in einem der Verzeichnisse zu finden) und nur ein Bruchteil der Talzustiege und Wege zwischen den Hütten wird aufgeführt. Offizielle Wegnummern fehlen grundsätzlich und eine Identifikation über Namen bei mehreren Wegen für die gleiche Relation ist nur teilweise unterstützt.

Gäbe es ein gemeinsames Verzeichnis der Alpenvereine mit relativ vollständigem Bestand der Hütten (Knoten) und der Wege (Kanten) dazwischen, wäre es natürlich ein leichtes, Kanten (temporär) als nicht mehr oder nur noch schwer begehbar zu kennzeichnen, was wiederum als Datenbasis für unterschiedlichste darauf aufbauende Applikationen dienen könnte ...

Stattdessen wird ein zweifelhaftes Reservierungsportal (nur Bruchteil der Hütten, da nicht obligatorisch und mit höherem dreistelligen Betrag pro Jahr durch Wirt zu finanzieren; fehlende Funktionen; Sprachcomputerunterstützung per Tonwahl, wenn man in den Bergen mit etwas Telefon- aber ohne Netzempfang ist ??? ...) initiiert, die grundsätzlichen Probleme, daß Wirte nicht mal die Quotenregelung kennen, die selbst dem oberflächlichen DAV-Panorama-Leser bekannt ist, jeder Wirt sein eigenes Süppchen zum Thema Stornierungen kocht (keine  einheitliche Regelung und teils wohl nur willkommene Gelegenheit zur Gewinnmaximierung der Wirte) und eben gestern Wirte auf der anderen Talseite (natürlich) schon sehr genervt waren, als die (wegen des Feiertags) vergebliche Umbuchungs-Versuchs-Welle rollte.
Das Interessanteste an der ganzen Reservierungs-Gebührs-Thematik: Viele Hüttenwirte sehen überhaupt kein Problem und keine Notwendigkeit, sondern haben ihren Betrieb einfach entsprechend organisiert ...

Bereits am Tag vorher kam die Wirtin auf der Innsbrucker nachmittags kaum vom Telefon weg.

Die österreichischen Finanzämter forcieren in der Gastronomie (das schließt die Berghütten mit ein !) elektronische Kassensysteme mit Online-Anbindung. Viele Hütten haben DESHALB mittlerweile sowieso bereits Satelliten-Internet-Anbindung realisieren müssen. An mangelnder Konnektivität kann also eine elektronische Lösung nicht (mehr) wirklich scheitern, sondern es hapert am zentralen Willen und dortigen Handlungen/Abstimmung.

Ein anderes strukturelles Ärgernis: Hütten mit DEUTLICH mehr regulären Schlaf- als Sitzplätzen in der Hütte (im Montblanc-Gebiet schon Verhältnis von 2:1 erlebt). Warum gibt es hier keine Regel ? - Wie schnell würden wohl einige Sektionen den Schnitt ihrer Hütten in der einen oder anderen Richtung anpassen ...

Interessant (also ärgerlich) auch, wenn Wirte um Gas/Holz zu sparen, Trockenraum bei Schlechtwetter nicht beheizen, obwohl es möglich wäre. Wie war das nochmal mit der üblicherweise auf Preise umgeschlagenen Infrastruktur- und Heizmaterialabgabe ?

Und wie setzt man als Wanderer überhaupt eine Meldung ab, daß es mit einem Weg/einer Markierung ein Problem gibt ?
Für die gut 7.300 km der 10 großen Österreichischen Weitwanderwege gibt es 1 Mail-Adresse. Von dort wird es dann intern ggf. an die Gebietsverantwortlichen weitergeleitet. Und sonst ?
In Hüttenbüchern gibt es manchmal eine entsprechende Kommentarspalte. Wenn ich mal (wieder) viel Urlaub habe, könnte ich ja mal Probe aufs Exempel machen ... - aber nicht, daß ich dann in 5.000 Jahren vor dem entfernten Wegweiser als Mumie gefunden werde, weil nie jemand den Eintrag gelesen und nach dem Rechten geschaut hat ...


Ich liebe die Berge.
Ich bin begeistert von der Hardware (Hütten und Wege) der alpinen Infrastruktur in Europa, die in großen Teilen dezentral und meist ehrenamtlich getragen und erhalten wird.
Aber an Prozessen und "Software" hapert es aus meiner Sicht (leider) teilweise (gewaltig), wobei da mit wenig viel zu erreichen wäre ... :-(


Später muß ich mich im Abstieg aber doch wieder mehr auf den Weg konzentrieren und dann erholt sich auch der geschwollene Hals wieder ;-)

Über die Lüsener Alm (nein, nicht die südlich des Pustertals auf dem Weg nach Venedig ;-) steige ich ins Lüsenstal ab und dann geht es gegenüber am Hang entlang wieder ein paar Höhenmeter aufwärts nach Praxmar, wo ich im Gasthof ein Lager vom Vater reserviert bekommen habe.

Praxmar im Sellrain-Gebiet ist auch eines der Bergsteigerdörfer des OeAV und profitiert u.a. mit besserer Busanbindung als früher.


Auf die habe ich es nicht abgesehen, aber ein Heidelbeerschmarrn zum Einstieg, Wäsche in die Maschine und K2 in die Sauna klingen nach einem guten Nachmittagsprogramm ...
Bei der Eingangstür stutze ich aber noch kurz: Kühl- oder Schwitzraum ?


Morgen steht dann wieder eine richtig ordentliche Etappe gen Westen an, denn hier umgehe ich ja die Gletscher, die die Stubaier Alpen vom Ötztal trennen.


Begegnungen:
4 Murmeltiere
4 Sprinter


2.000er:
Großes Horntaler Joch, 2.812

2 Kommentare:

  1. In Afrika kann ich gerade wieder einige Lektionen in Sachen Geduld lernen. African way of live... Oder auch mora mora... lg

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  2. Ich teile Deine Analyse. Mit vergleichsweise wenig Aufwand liesse sich viel machen.

    Ich verstehe persoenlich auch nicht, wieso auch in diesem Bereich immer mehr Facebook favorisiert wird. Waehrend in diversen Geocachinggruppen das Ziel ist das Geschriebene nicht fuer Externe zugaenglich und erst recht nicht suchbar zu machen, so kann dies ja fuer Informationen ueber Wegzustaende und dergleichen nicht er Fall sein.

    Die Wetterkapriolen dieses Jahr machen es Dir auf Deiner Wanderung nicht leicht.

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