Donnerstag, 10. August 2017

Tag 51: Über eine große Portion Eis zum Blind Date

Das Wetter ist am Morgen durchwachsen: Die Gewitter des Vorabends waren nur kurz - vielleicht zu kurz, jedenfalls ist es stark bewölkt, statt 35° nur noch 18° und die Wolken hängen an den Gipfeln des Hauptalpenkamms.

Der Wirt meint zwar, es sollte heute noch aufreißen, allerdings kommt die Sonne auf der Südseite immer nur kurz mal durch.

Ich kann Jaqueline und Christoph noch verabschieden und dann mache ich mich nach dem Frühstück flott auf den Weg. Zu Beginn folge ich dem Neveser Höhenweg, der in weitem Bogen in den Flanken von Großem Möseler und Hohem Weißzint den Nevesstausee im Norden umgeht.


Viel kürzer und wohl auch um einiges schneller wäre die bereits von der Chemnitzer Hütte am Nachbarjoch sichtbare Edelrauthütte zwar mit Abstieg zum See und Aufstieg auf der anderen Seite zu erreichen, aber ich ziehe den Höhenweg vor, auch wenn er auch einiges an Auf und Ab mit sich bringt und vor allen Dingen, weil der Weg sich mit dem ganzen Geröll nicht so gut gehen läßt.


Um halb Zwölf erreiche ich die im Vorjahr komplett neu gebaute Edelrauthütte, die völlig überfüllt und umlagert ist. Da es richtig frisch ist, gehe ich schnell ins Haus und suche mir im engen, lauten Großraumspeisezimmer an einem Tisch ein freies Plätzchen, was mit dem großen Rucksack gar nicht so leicht zu erreichen ist.

Hier gefällt es mir im Moment (ganz im Gegensatz zur "Altherren"-Tour 2012) überhaupt nicht (mehr). Das Essen ist gewohnt gut, aber nach 25 Minuten mache ich mich bereits wieder auf den Weg.
Die drohende Kaltfront und der Trubel treiben mich auf alle Fälle noch auf den Weg zur Hochfeilerhütte - sofern nicht noch ein Unwetter im Aufstieg zur über 2.900 Meter hohen Unteren Weißzintscharte losbricht.

Vielleicht gebe ich der neuen Edelrauthütte irgendwann nochmal eine Chance, wenn sie nicht mehr ganz so neu ist und nicht gerade Samstag Mittag ist.

Leider kann ich dem Chef der Edelrauthütte so auch gar nicht persönlich die lieben Grüße aus der Steiermark von der Chefin der von den Wienern als Ersatz gebauten Edelrautehütte ausrichten, wo ich 30 Wandertage vorher logierte.


Knapp 400 Höhenmeter muß ich in die Wolken aufsteigen. 2012 war ich hier bereits schon mal abgestiegen und so weiß ich, daß der Weg zur Scharte hin besser gehbar wird, als am Anfang nach der Hütte.
Kurz unter der Scharte kommt mir ein Deutscher entgegen. Da ich den Chef auf der Edelraut nicht zu Gesicht bekommen habe, will ich nun von den Entgegenkommenden wissen, wie der gesicherte Steig zum Gletscher dieses Jahr ist und in welchem Zustand der Gliederferner. Der Deutsche meint, es sei extrem heikel, ohne Steigeisen über den Gletscher zu gehen.
Gerade als ich mir richtig Sorgen machen will, da ich die anfangs mitgeführten Grödeln bei Depot 1 (in Coburg) wegen des schneearmen Winters zurückgelassen habe, kommt mir der einheimische Bergläufer, der mich vor Mittag im Aufstieg zur Edelrauthütte überholt hat, entgegen und meint für mich sei das gar kein Problem.
Nun, bilden wir mal den Mittelwert und schauen uns die Sache genauer an.


Am Übergang an der Unteren Weißzintscharte wechselt einerseits das Wetter: In Innerpfitsch ist es nur leicht bewölkt, die Sonne scheint und es ist richtig warm. Andererseits treffe ich noch ein paar Sterzinger beim Pausieren, die mal schnell von der Hochfeilerhütte zur Edelraut gehen und später wieder zurück. Sie meinen auch, kein Problem - wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie nicht Steigeisen im Rucksack haben ...

Ich steige gen Gliederferner ab, packe zwischenzeitlich die Stöcke in den Rucksack als es in den gesicherten Steig im Steilabstieg zum Gletscher geht. Die letzten Meter bis zum Ausstieg auf den Schnee hier an der Nordseite am Fuß des Felsens sind nicht ganz einfach, aber ich habe einen guten Moment erwischt (es kommen gerade weder von oben noch von unten Leute) und somit genug Zeit mit Bedacht die einzelnen Schritte zu planen und zu gehen.


Der Schnee bietet mit den Stöcken guten Halt, aber nach ein paar Metern herrscht Blankeis auf dem kümmerlichen Gletscher vor und es sind noch einige Höhenmeter für mich bis zum ebenen Bereich des Gletschers abzusteigen.


Teilweise lassen sich in das weiche Eis zwar Stufen treten, allerdings ist großflächig das Eis pickelhart. Ich muß genau schauen und möglichst über eingeschlossene Steine auf dem Gletscher Halt-findend im zick-zack abwärts gehen. Irgendwie meistere ich die Herausforderung. Ein Sturz wäre recht ungut.


Die meisten mir nun entgegen kommenden tragen Eisen. Die Querung des eigentlichen Gletschers ist harmlos und es ist Wahnsinn, wie viel Wasser hier über die Oberfläche des Eises in Rinnen abwärts fließt. Die andere Seite des Gletschers gen Hochfeilerhütte ist nicht so stark geneigt und somit problemlos, dafür wartet hier die weglose Seitenmoräne: In ca. 20 Metern Höhe ist eine Markierung zu erkennen und nun gilt es, durch Sand, Erde und lose Steinblöcke irgendwie unbeschadet hoch zu kommen (ohne dabei wieder runter zu rutschen/fallen).
Die Anspannung fällt ab, als ich auf der Moräne stehe und nun den Markierungen zur Hochfeilerhütte folgen kann. Dort kehre ich auf einen Strudel und zwei Getränke ein und da ich auf meine SMS von der Scharte noch keine Antwort habe sowie mangels Empfang auch keine bekommen werde, nehme ich das klassische Wählscheibentelefon der Hütte in Anspruch, um mal beim Weltraumaeffchen (Blog) nachzuhaken, ob Transferangebot und Einladung zum Abendessen noch stehen. Ich verstehe am Telefon nicht viel, aber ein "Ja" war definitiv dabei :-)
Somit steige ich nun vor der anrückenden Kaltfront auch gleich noch im Schnellschritt bis Stein ab ...

Ania und Tom sind auf dem Rückweg von Monaco mit Freunden im vorderen Pfitscher Tal zum Essen verabredet, stehen aber noch zwischen Lago Maggiore und Sterzing im Stau.

Kurz vor 18:00 Uhr bin ich nach einem langen Tag und 1,5 Tagesetappen in Stein angekommen und stärke mich erstmal mit Suppe und Geburtstagskuchen von Sonja. Um 18:15 Uhr beginnen Gewitter und Starkregen. Manchmal ist Timing einfach alles :-)

Um 19:10 würde noch ein Bus talauswärts fahren, aber gerade als ich überlege, doch noch die Regenklamotten rauszusuchen und zur Bushaltestelle zu laufen, kommt die Info, daß mein Wiener Privat-Taxi doch noch früher als geplant ins Tal kommt und mich abholen wird. Welch Service !

Die beiden Weitgereisten - da begegnet mir nun das "Viech" mit seinen zwei Vierbeinern aus Wien endlich mal höchst-persönlich und dann gleich am Ende Anfang der Welt, bisher kannten wir uns ja nur von verblassenden Fußstapfen Graz-Monaco, Mails und Telefonseelsorge-Gesprächen - packen mich ein und es geht zum Pretzhof, oberhalb von Wiesen. Irmi und Novi sind bereits da.

Der Chef tischt auf und es ist super-exquisit und super-lecker ! Der Abend mit den vieren ist super-nett und wieder einmal ein geniales Blind Date und ein wahnsinniger Zufall, daß sich das zeitlich (OK, mit dem heutigen Zwischen-Sprint, der ja aber eigentlich des aufkommenden schlechten Wetters geschuldet war) so super ausgeht.

Vielen, vielen herzlichen Dank für die Einladung, Ania und Tom !

Im Eifer des Gefechts verdränge ich zwischenzeitlich noch total, daß ich ja für die Nacht noch eine Unterkunft brauche und irgendwie hinkommen muß - da die anderen zu viert mit den Hunden im Wohnmobil schlafen, haben sie natürlich auch schon Alkohol getrunken. Die Chefin organisiert mir ein Zimmer mit "Late Check-in" nach Mitternacht (durch die Tür hinten, 2. Stock, Zimmer 10) im Jägerhof in Wiesen und einer der Angestellten nimmt mich nach Dienstschluß auf dem Heimweg nach Sterzing mit. The trail provides.

Perfekt !
Was für ein Tag ... :-)


Begegnungen:
1 Murmeltier
1 Bergläufer
2 Heidelberger (auf der Hochfeilerhütte)
Sonja
Ania + Tom, Irmi + Novi


2.000er:
Eisbruggjoch, 2.545
Untere Weißzintscharte, 2.926

5 Kommentare:

  1. Lieber Kai

    Nun bist du also wieder in Heimat 2 (gewesen). ;-) Erschreckt hat mich der Gletscher, oder das, was noch übrig ist. Das sah doch vor 6 Jahren noch anders aus.

    Jetzt aber los auf den "Schlussspurt"!

    Beste Grüsse

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    1. Hey Pepi.

      Der Zustand des Gletschers hat mich auch schockiert.
      Hätte ich geahnt, wie er dieses Jahr bereits Anfang August aussieht, hätte ich die Grödeln NATÜRLICH nicht in Depot 1 gelassen, sondern noch bis Depot 2 mitgetragen.

      Schöne Grüße
      K2.

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  2. Hallo Pepi.

    Mit dem Schlußspurt gibt es Problem: Nürnberger Hütte und (hinteres) Stubaital von Außenwelt abgeschnitten. Viele Wege nicht mehr begehbar oder gar nicht mehr existent.

    Befinde mich auf taktischem Rückzug gen Osten. Mal sehen, ob ich zur Innsbrucker hoch komme und ob/wie es dann von dort weitergeht ...

    Schöne Grüße vom trotz Sturz heilen K2.

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  3. Hoppla! Das wollte ich jetzt aber nicht lesen. Aber sehr froh, dass du heil bist.
    Falls ich dich irgendwie lotsen kann werde ich mein Bestes geben.
    Grüass

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